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Angestellte spielen trotz erfolgreicher Karriere öfters mit dem Gedanken, ihren Job an den Nagel zu hängen und mehr auf ihre mentale Gesundheit zu achten.

In den USA spricht man von der “great resignation” oder dem “big quit”, womit sie auf den markanten Anstieg der freiwilligen Kündigungen in den letzten zwei bis drei Jahren hinweisen. Dieser Trend zeigt sich ebenso in der Schweiz, wie eine Untersuchung des Beratungshauses PeopleCentriX zeigt.

Eine kürzlich von Michael Page in der Schweiz durchgeführte Erhebung, “Talent Trends 2023”, bestätigt diesen Trend. Laut dieser Überlegung ziehen 91 Prozent der Fachleute in Betracht, ihre Stelle zu wechseln – ein Rekordwert. Tatsächlich gaben 33 Prozent der Umfrageteilnehmer an, 2022 ihren Job gekündigt zu haben, im Vergleich zu 8 Prozent im Jahr 2019.

Interessanterweise sind es nicht nur Berufseinsteiger oder Mitarbeiter in mittleren Positionen, die sich nach neuen Möglichkeiten umsehen. Immer häufiger denken auch Führungskräfte auf dem Zenit ihrer Laufbahn über einen Wechsel nach.

Neuausrichtung von Werten

Lange Zeit strebten viele danach, die Karriereleiter emporzusteigen und ihr Einkommen stetig zu erhöhen. Doch jüngst hat sich die Sichtweise auf die Arbeit und Karriere gewandelt. Work-Life-Balance, Selbstverwirklichung und Wohlbefinden rücken immer mehr in den Fokus.

Eine Untersuchung von Deloitte aus dem Jahr 2022 verdeutlicht diese Entwicklung. Beinahe 70 Prozent der befragten Top-Führungskräfte überlegen, ihre Position aufzugeben. Bemerkenswert: 80 Prozent betonen, dass ihre psychische Gesundheit über ihrer beruflichen Laufbahn steht.

Das wachsende Verlangen nach mehr Bedeutung im Beruf ist nicht neu und wurde durch den Anstieg von Burnout-Erkrankungen zusätzlich angefacht. „Durch die Gesundheitskrise hat sich dieses Verlangen weiter intensiviert“, merkt Anne Donou, Direktorin bei Von Rundstedt, an. Dieses Unternehmen hilft Mitarbeitern bei ihrer beruflichen Neuorientierung, nachdem sie aus einer Firma ausgeschieden sind.

Laut Donou wird dieser Trend weiterhin an Relevanz gewinnen, angesichts demografischer Veränderungen und der fortwährenden digitalen Revolution. „Wir stellen fest, dass immer mehr Menschen den Wunsch haben, von Großkonzernen zu kleineren, handhabbareren Unternehmen zu wechseln, wo der unmittelbare finanzielle Druck gemildert ist“, sagt Donou. Hinzu kommt, dass sich viele Führungspersonen in Top-Positionen zunehmend isoliert fühlen. Immer häufiger sind sie bereit, finanzielle Einbußen hinzunehmen, um ihr seelisches Wohl zu priorisieren.

 

Gegen den Strömungsdruck

War es früher undenkbar, in Führungspositionen einen Gang herunterzuschalten? Bei der Abberufung eines CEO eines prominenten Unternehmens lag der Grund oft bei vermeintlicher Ineffizienz. Heute gibt es jedoch Führungspersonen, die ihre Rolle in der Gesellschaft anders interpretieren möchten. Als Beispiel nennt Donou einen Top-Manager der Ölbranche, der sich entschied, in die erneuerbare Energiebranche zu wechseln.

Während diverse Gründe eine Rolle bei der Entscheidung spielen können, einen Posten aufzugeben, steht das Thema “Druck” häufig im Zentrum. Donou verweist auf Olivier Roellinger, einen Gastronom mit einer Passion für Gewürze. Er entschied sich, seine drei Michelin-Sterne abzutreten, um dem enormen Druck zu entkommen und seine kulinarische Kunst neu zu definieren.

Ein ähnlicher Fall ist der Chefkoch Didier de Courten, der mit zwei Michelin-Sternen und einem fast perfekten Score im GaultMillau brillierte. Er schloss nach fast zwei Jahrzehnten sein Restaurant Le Terminus und wendete sich nun der Leitung von Hotels und Restaurants in Grimentz-Zinal zu.

 

Unternehmensherausforderungen in der Arbeitskultur

Betriebe müssen sich auf veränderte Arbeitskulturen einstellen, betont die Expertin. Ohne Flexibilität und eine Anpassung an das “Smart Working”-Konzept sowie moderne Technologien könnten Personalgewinnungsprozesse ins Stocken geraten. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Leistungserwartung und Arbeitszufriedenheit ist entscheidend. Ein Beispiel von Donou zeigt einen Kandidaten im Bankensektor, der ein Interview nach nur 15 Minuten abbrach, da die Firma nur einen Home-Office-Tag pro Woche zuließ.

Manche Firmen sind der Meinung, dass die Produktivität im Home Office abnehmen könnte. Donou stellt jedoch die Kernfrage: Sind Unternehmen bereit, das Wohlbefinden ihrer Mitarbeiter stärker zu priorisieren, auch wenn dies möglicherweise auf Kosten des Profits geht?